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Die wahre Schande von Washington

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Die wahre Schande von Washington

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Rücktritt? Amtsenthebung? Donald Trump erntet die geballte Wut nach dem Sturm auf das US-Kapitol. Doch genauso große Schuld haben andere auf sich geladen.

In Washington dehnt sich gerade die Zeit. Die zwölf Tage unter Donald Trump, die noch bleiben, fühlen sich plötzlich qualvoll lang an. Was um Himmels Willen soll da noch alles passieren? Das ist die Gemütslage in der Hauptstadt.

Beginnen wir – wo sonst? – am Kapitol. Als ich am Mittwochnachmittag dort ankomme, vermischen sich zwei Eindrücke: Ich sehe das Erwartete und das Unvorstellbare.

Dass der Trump-Mob extrem aggressiv sein würde, konnte niemanden überraschen. Trump hat seine Jünger seit Jahren dressiert und wüten lassen, er hat sie wochenlang für den 6. Januar angeheizt („Seid dabei, es wird wild!“), zuletzt in einem Marschbefehl neunzig Minuten vor dem Sturm. Doch dass das Kapitol einfach so überrannt werden würde, das war für mich unvorstellbar.Die Stimmung ist aufgeputscht, es wirkt wie ein Volksfest der Radikalen, der Rotkappen, der Verwirrten. Trump und seine Helfer haben ihnen ein Märchen aufgetischt, dass dort der angebliche Wahlbetrug an diesem Tag noch zu drehen sei, sie zu Helden werden und nicht weniger als „Amerika retten“ können. Dabei geht es in Wahrheit darum, das demokratische Wahlergebnis zu sabotieren.

Es ist das passende Finale dieser Präsidentschaft, in der es immer wieder darum ging: Trump oder Demokratie.

Ich sehe, wie Journalisten belästigt werden. Daran bin ich von zahlreichen Veranstaltungen Trumps gewöhnt, doch dort habe ich mich nie akut bedroht gefühlt. Vor dem Kapitol im Herzen Washingtons ist das anders. Ich spüre eine unkontrollierte Aggressivität, auch gegen die Reporter. Am Mittag gab Trump seinen Leuten noch einmal mit, dass „der Wahlsieg von den Fake News gestohlen“ werde. Es wird ein Tag, an dem ich die Presseakkreditierung ausnahmsweise unter dem Mantel trage.

So deprimierend und schockierend der Mittwoch auch abläuft – er liefert einen Moment der Wahrheit. Er hat sichtbar gemacht, wovor man hier am liebsten die Augen verschließt. „This is not who we are“, heißt es reflexartig wie so oft, auch von den Republikanern im Senat. Das sei nicht das wahre Amerika. Doch die traurige Nachricht ist, dass das sehr wohl auch Amerika ist und dass die Republikaner selbst dazu kräftig beigetragen haben.

Verachtung für die Demokratie, wenn es den eigenen Interessen dient. Schamlosigkeit, Flucht in wahnhafte Fantasien und das Anspruchsdenken, einem selbst gehören das Land und seine Institutionen eben mehr als anderen Leuten: All das ist schon lange Teil Amerikas. Auch diese antiparlamentarische Opposition, die nicht nur Medien und Demokraten verdammt, sondern auch die Republikanische Partei, ist nicht von Trump erfunden worden. Er hat sie nur entfesselt.

Der 6. Januar am Kapitol – auch er gehört zu Amerika.

Es sind Männer in Tarnfleck dabei, Sektenanhängerinnen und sonstige Verwirrte. Ihnen werden Märchen von ungeheuren Skandalen aufgetischt: Der Erdrutschsieg bei der Wahl – dem armen Trump einfach von dunklen Mächten entrissen! Wer würde gegen eine solch himmelschreiende Ungerechtigkeit denn nicht empört protestieren?

Die Verantwortung liegt bei jenen, die einflüstern. Wie Trump das tut, habe ich Ihnen oft beschrieben. Er wäre dabei nicht weit gekommen ohne die tatkräftige Unterstützung der Republikaner. Sie haben ihn, seine Lügen, seine Machtmissbräuche von Anfang an gedeckt – aus Kalkül, ihre konservativen Richter und Steuerpläne durchzusetzen, und aus Angst vor dem Zorn Trumps. Doch sie haben bis zuletzt mit ihm auch die Präsidentschaftswahl sabotiert, obwohl das Ergebnis seit zwei Monaten eindeutig ist.

Erst am Mittwoch tritt Mitch McConnell dem Wahnsinn entgegen. Der Mehrheitsführer im Senat warnt die Parteifreunde, das Propagieren von Trumps Wahlmärchen schicke die US-Demokratie in eine Todesspirale. Vier Jahre hat er Trump beschützt, etwa verhindert, dass im Impeachment-Verfahren gegen den Präsidenten auch nur ein einziger Zeuge angehört wurde. Eine Stunde nach der Rede hockt er in den Katakomben des Kapitols, versteckt vor dem Mob, der längst auch ihn zum Feind hat.

Abends nach dem Schock spricht Lindsey Graham, der kleine Mann aus South Carolina, schon immer einer der wendigsten Senatoren. Graham wandelte sich vom Trump-Beschimpfer zu dessen Golffreund, jetzt bricht er theatralisch mit dem Präsidenten. „Ich bin raus. Genug ist genug“, sagt er, rudert mit den Armen, und sagt dann, in Erwartung von Applaus: „Joe Biden und Kamala Harris sind rechtmäßig gewählt.“ Es kommt ein bisschen spät.

Die vielleicht größte Schande für die amerikanische Demokratie liegt nicht in Trumps Verhalten, sondern darin, dass sich gestandene Politiker ihm und seinen Fantasien so willentlich unterworfen haben. Aus Kalkül und aus Angst. Bis heute.

Ich musste an ein Zitat aus dem November denken. Als klar war, dass Trump nie und nimmer seine Wahlniederlage eingestehen würde, sagte einer jener Regierungsvertreter, die nur anonym sprechen, den Kollegen der „Washington Post“, dass er Trumps Lügentheater eine Weile mitspielen werde: „Was ist denn der Nachteil, wenn wir ihm noch ein bisschen nach dem Mund reden?“

Es war eine der verräterischsten Aussagen, weil sie zeigte, wohin der Blick geht: auf Trump, nicht auf die Demokratie. Ob er zumindest am Mittwoch den Nachteil endlich erkannt hat?

Interessieren Sie sich für die US-Politik? Washington-Korrespondent Fabian Reinbold schreibt über seine Eindrücke aus den USA und den Übergang von Donald Trump zu Joe Biden einen Newsletter. Hier können Sie die „Post aus Washington“ kostenlos abonnieren, die dann einmal pro Woche direkt in Ihrem Postfach landet.

Manche Republikaner schwenkten nach dem Sturm aufs Kapitol um wie Graham. Viele andere machten weiter. In der Nacht stimmen noch zwei Drittel der Republikaner im Repräsentantenhaus für die haltlosen Einwände Trumps gegen das Wahlergebnis. Diese brauchen wegen ihrer nur zweijährigen Amtszeit schon bald wieder die Stimmen der wütenden Trump-Jünger. Andere wollen 2024 selbst Präsident werden wie Senator Ted Cruz.

Dabei ist der Deal mit Trump – Unterwerfung im Gegenzug für Macht – bereits gebrochen. Während ich noch am Kapitol stehe, summt auf dem Handy die Eilmeldung: Auch der zweite Demokrat in Georgia gewinnt das Senatsrennen.

Die Demokraten holen damit doch noch die hauchdünne Mehrheit im Senat. Joe Bidens Aussichten, mit dem Erbe Donald Trumps zu brechen, haben sich schlagartig verbessert.

Auch in Georgia ging es um die Demokratie. Den Demokraten war es gelungen, in jahrelanger Arbeit viele von der Politik abgewandte Schwarze als Wähler zu registrieren und sie zur Stimmabgabe zu bewegen. Sie stärkten die Demokratie.

Trump tat das Gegenteil. Statt beherzten Wahlkampf für die Parteifreunde vor Ort zu machen, fuhr er in erster Linie seine Attacken gegen die Wahlverantwortlichen in Georgia – einfach weil er seine Niederlage bei der Präsidentschaftswahl nicht eingestehen wollte.

Die dortige Kandidatin Kelly Loeffler inszenierte sich als Trumps treueste Mitstreiterin. Ihr Wahlkampf war geprägt vom Satz, sie habe im Senat für hundert Prozent seiner Initiativen gestimmt. Lange waren solche Sätze ein Weg zum Erfolg. Doch jetzt war Trumps Wirken zu destruktiv. Loeffler verlor. Am Mittwochabend im Senat desertierte sie von Trumps Feldzug gegen das Wahlergebnis.

Dass sich Loyalität nicht mehr auszahlt, erfuhr Vizepräsident Mike Pence auf die harte Tour. Vier Jahre gab er den treuesten Helfer und obersten Schmeichler des Präsidenten. Doch weil Pence am Mittwoch im Kongress nicht das tun würde, was sich Trump zusammenfantasierte – nämlich die Wahl für ihn zu kippen – warf der Präsident ihn dem Mob zum Fraß vor.

Der Präsident, der seiner Partei so viele Triumphe versprochen hatte, dass man vom Siegen müde werden würde, hat nach dem Repräsentantenhaus (2018) und der Präsidentschaft (2020) nun auch die Mehrheit im Senat (2021) verloren. In der Partei hinterlässt er ein Schlachtfeld. Eigentlich müssten sie Trump mit Schimpf und Schande nach Mar-a-Lago verbannen. Doch ihre Wählerbasis ist Trump weiterhin verfallen.

Es gibt niemanden in Washington, der weiß, wie die Partei aus dieser Verrenkung hinausfinden will.

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